Eiskurs am Taschachferner - Bergweh®

„Genug, dass ist doch keine Makramee-Stunde“

„Genug, wir haben doch keine Makramee-Stunde“ verkündet Roland resolut, während die motivierte und gut gelaunte Gruppe die Bergsteigerseile mitten auf dem Taschachferner in verschiedene Längen dividiert. Es bleibt nicht der einzige locker-flockige Spruch in den vier Tagen, was aber nicht über die Ernsthaftigkeit unserer Eisausbildung hinwegtäuschen soll. Unser Ausbildungsteam lässt keinen Zweifel aufkommen an seiner Kompetenz und seiner langjährigen Erfahrung. Es ist der 34ste Eisausbildungskurs von Roland, der nicht nur aus diesem Erfahrungsschatz seine Lehrinhalte vermittelt. Zwölf bis auf die Füße bewaffnete Teilnehmer stehen auf der nicht ganz so wild zerfurchten Mittelzone des Eispanzers. Wir lernen gerade, wie wir unser Seil optimal für unterschiedlich große Seilschaften nutzen, also in welchen Abständen wir uns mit wieviel Personen ans Seil einbinden sollen - so wie die Fäden für die Makrameeknüpferei berechnet und sortiert werden.
 

 

Nicht nur bei diesem Thema wählt Roland ein einprägsames Bild, das sich später immer wieder abrufen lässt. Er will erreichen, dass wir das „was, wie und warum“ verstehen. Nur so sind wir in der Lage, in jeder erdenklichen Situation, die bestmögliche Lösung zu finden. In der Natur müssen wir flexibel sein und improvisieren können; aber genauso wichtig ist es, die passende Ausrüstung sicher und richtig anzuwenden. Deswegen hat Roland uns gestern Abend das ganze Material in der Theorie vorgestellt von der russischen Eisschraube, über den Ball-Lock-Karabiner bis hin zur Kernmantel-Imprägnierung des Seils. Wir haben über Lasten und Normsturzseilzahlen gesprochen und noch vieles mehr. Wir haben sozusagen „vorgearbeitet“ bis die Hüttenruhe uns in unser komfortables Bettenlager verbannt hat, denn morgen Abend gibt es Public-Viewing auf dem Taschachhaus, wenn Deutschland gegen Ghana spielt. Deswegen wird sogar die „Nachtruhe“ verschoben. Da ist das Hüttenteam flexibel, wie auch bei allem anderen, was auf sie einstürmt. Sie managen ihr bis aufs letzte Bett ausgebuchte Haus professionell, so dass es uns gar nicht auffällt, dass noch weitere 180 Gäste hier sind.

 

Die Makramee-Stunde ist also beendet. Die Seilschaften sind ordnungsgemäß angeseilt. Wir steigen auf dem Eis hoch und lernen in der Spaltenzone unsere spitzen Stahlzacken sinnvoll einzusetzen. Nach der Firnausbildung gestern, haben alle zutrauen gewonnen in das für manche recht neue Medium Eis. Das liegt daran, dass wir gestern den Fall des Falles im steilen Schneefeld geübt hatten. Zuletzt wagten wir sogar den Kopfsprung nach vorn in die stark geneigte Firnflanke und erzeugten beim Bremsen mit der Eispickelschaufel hochspritzende Schneefontänen. Während aus dem Nebel gerade styroporkugelartige Körner fallen, lassen wir uns jeder einmal in die Spalte fallen, um anschließend über die „lose Rolle“ geborgen zu werden. Weder das ungemütliche Wetter, noch die verschiedenen Helikoptereinsätze um uns, lassen uns ablenken. Die Konzentration wird gefordert bei den Knoten, beim Sichern, beim Klettern mit den Frontalzacken, beim Abseilen und abends nochmals bei der Tourenplanung.

 

Die Höhepunkte steigern sich von Tag zu Tag. Der heutige längste Tag des Jahres beginnt bereits mit bestechendem Sommerwetter. Und weil wir eine „gute Gruppe“ sind, machen wir heute eine kleine Hochtour: Die Umrundung des Pitztaler Urkunds. Dieses Erlebnis in die stille, weiße, unberührte Hochgebirgswelt macht uns alle ehrfürchtig, dankbar und zufrieden. Wer noch zweifelnd war, hat spätestens jetzt den Sinn unserer Eisausbildung erfasst. Deswegen wollen wir alle auch am letzten Tag gerne weitere Techniken erlernen, insbesondere verschiedene Abseil- und Bergungstechniken. Das Taschachhaus im Rücken gleiten wir vorsichtig hinab an der senkrechten Felswand und saugen zwischendurch das glitzernde Panorama auf die Gletscher ringsum gierig auf, denn leider müssen wir nachher noch absteigen und heimfahren.

 

DAV-Eisausbildung am Taschachhaus vom 19. bis 22. Juni 2014

© Barbara Esser im Juni 2014